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Еврейские судьбы: Двенадцать портретов на фоне еврейской иммиграции во Фрайбург - стр. 21

Tatarien

Am Abend, als die Bombardierung vorbei war, brannte die ganze Stadt! Dann begab sich Anna mit der jüngeren Schwester und dem Bruder zur Mutter nach Ratomka – und zwar zu Fuß. Sie übernachteten im Wald nahe der Stadt. Am Morgen gingen sie auf die Straße, aber sie war durch die zurückziehenden Truppen verstopft, die hautnah aneinander schritten, so dass es unmöglich war, sich durch diese dichte Menschenmasse durchzukämpfen. Die Geschwister mussten umkehren, sich von diesem Strom blind mitreißen lassen und darauf hoffen, dass der Kindergarten doch in Sicherheit gebracht worden war – wie kann man sich ja etwas anderes vorstellen? (Was in Wirklichkeit mit dem Kindergarten und mit der Annas Mutter geschehen war, blieb bis heute ungeklärt).

Drei Wochen lang bewegten sich zwei Schwestern und der Bruder durch Weißrussland gen Osten – in den Stöckelschuhen, ohne Lebensmittel, ohne Kleidung, nur mit einer kleinen Damen-Aktentasche mit Fotos, Papieren und einem halben Kilo Streuzucker.

Den Zucker lösten sie im Wasser und tranken die Lösung. Sie hatten weder Essen noch Geld. Es gab keine organisierten Mahlzeiten, sie legten Feuer an, kochten etwas – eine Suppe. Bei einer solchen Suppe holte sich der Bruder eine Lebensmittelvergiftung und musste den Weg mit dem Fieber von 40ºC weitergehen. Mal reichte man ihnen eine Tasse Milch, mal noch was: die Menschen hatten Mitleid mit zerlumpten Flüchtlingen. Sie schliefen in einer Reihe hingestreckt, auf der bloßen Erde. Es ist unbegreiflich, wie sie diese drei Wochen überstanden und überlebt haben!

Bei solchen Umständen erreichten sie am 13. Juli die Stadt Roslawl im Gebiet Smolensk. Von dort gelangten sie auf Flachwagen mit Kohlen zum Evakuierungspunkt in Mitschurinsk, wo sie als Evakuierte angemeldet wurden. Sie wurden nach Kasan gesendet und kamen dort erst im August an.

Ihr Juristin-Diplom hatte Anna in ihrer Aktentasche mitdabei. Damit wurde sie bei der Staatsanwaltschaft der Tatarischen Republik angestellt und bekam eine Stelle als Assistentin eines Rayon-Staatsanwaltes zugewiesen. Zwei lange Jahre arbeitete sie in der Stadt Аgrys an der Transsibirischen Eisenbahn.


Анна Резник с мужем Федором / Anna Resnik mit ihrem Mann Fedor (1946)


Seit ihrem ersten Lebenstag wusste Anna, dass sie Jüdin war. Als sie ca. sieben Jahre alt war, stellten ihre Eltern einen Lehrer für sie ein, mit dem sie ein Jahr lang Hebräisch lernte. Dann wanderte der Lehrer nach Palästina aus (wie es damals hieß), und der Unterricht hörte auf.

Mit Antisemitismus wurde sie zum ersten Mal konfrontiert, als sie evakuiert war (in Minsk gab es keinen Antisemitismus – weder in der Schule noch an der Hochschule). Es ereignete sich zum Beispiel Folgendes.

Anna war bereits als Assistentin des Staatsanwaltes tätig und brauchte eine Wohnung. Eine Tatarin, bei der sie ein Zimmer mieten wollte, empfing sie mit offenen Armen – in ihren Augen war ja Anna eine große Chefin. Dann sagte sie aber: «Es kamen einmal evakuierte Juden, aber ich ließ sie bei mir nicht wohnen». – «Ach so? Dann werde ich bei Ihnen auch nicht wohnen: Ich bin auch Jüdin». Diese einfältige und ungebildete Tatarin, die nie in ihrem Leben Juden gesehen hatte, war nichtsdestotrotz so eingestellt.

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