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Письмо незнакомки / Brief einer Unbekannten - стр. 8

. Der Neugierige in Dir war wach, und ich merkte wie Du nach dem Geheimnis tasten wolltest. Aber ich wollte lieber töricht erscheinen als Dir mein Geheimnis verraten. Wir gingen zu Dir hinauf.

Verzeih, Geliebter, wenn ich Dir sage, dass Du es nicht verstehen kannst, was dieser Gang, diese Treppe für mich waren, fast tödliches Glück. Die ganze Kindheit, meine ganze Leidenschaft, da nistete sie ja in diesen paar Metern Raum, hier war mein ganzes Leben, und jetzt fiel es nieder auf mich wie ein Sturm, da alles, alles sich erfüllte und ich ging mit Dir in unserem Hause. Ich blieb damals die ganze Nacht bei Dir. Du hast es nicht geahnt, dass vordem noch nie ein Mann mich berührt, noch keiner meinen Körper gefühlt oder gesehen. Aber wie konntest Du es auch ahnen, Geliebter, denn ich bot Dir ja keinen Widerstand[55], ich unterdrückte jedes Zögern[56] der Scham, nur damit Du nicht das Geheimnis meiner Liebe zu Dir erraten könntest.

Am Morgen drängte ich frühzeitig schon fort. Ich musste in das Geschäft und wollte auch gehen, ehe der Diener käme: er sollte mich nicht sehen. Als ich angezogen vor Dir stand, nahmst Du mich in den Arm, sahst mich lange an; war es ein Erinnern, dunkel und fern, das in Dir wogte, oder schien ich Dir nur schön, beglückt, wie ich war? Dann küsstest du mich auf den Mund. Ich machte mich leise los und wollte gehen. Da fragtest Du: „Willst Du nicht ein paar Blumen mitnehmen?“ Ich sagte ja. Du nahmst vier weiße Rosen aus der blauen Kristallvase am Schreibtisch und gabst sie mir. Tagelang habe ich sie noch geküßt. Wir hatten zuvor einen andern Abend verabredet. Ich kam, und wieder war es wunderbar. Noch eine dritte Nacht hast Du mir geschenkt. Dann sagtest Du, Du müsstest verreisen. Ich gab Dir eine Poste restante-Adresse – meinen Namen wollte ich Dir nicht sagen. Ich hütete mein Geheimnis[57]. Wieder gabst Du mir ein paar Rosen zum Abschied.


Jeden Tag während zweier Monate fragte ich… aber nein, wozu diese Höllenqual[58] der Erwartung. Ich klage Dich nicht an, ich liebe Dich als den, der Du bist. Du warst längst zurück, ich sah es an Deinen erleuchteten Fenstern, und hast mir nicht geschrieben. Ich habe gewartet, ich habe gewartet wie eine verzweifelte[59].

Aber Du hast mich nicht gerufen, keine Zeile hast Du mir geschrieben… keine Zeile…


Mein Kind ist gestern gestorben – es war auch Dein Kind. Es war auch Dein Kind, Geliebter, das Kind einer jener drei Nächte, ich schwöre es Dir, und man lügt nicht im Schatten des Todes. Es war unser Kind, ich schwöre es Dir, denn kein Mann hat mich berührt von jenen Stunden, da ich mich Dir hingegeben.

Es war unser Kind, Geliebter, das Kind meiner wissenden Liebe und Deiner sorglosen, fast unbewussten Zärtlichkeit, unser Kind, unser Sohn, unser einziges Kind. Aber Du fragst nun – vielleicht erschreckt, vielleicht bloß erstaunt, – Du fragst nun, mein Geliebter, warum ich dies Kind Dir alle diese langen Jahre verschwiegen und erst heute von ihm spreche! Doch wie hätte ich es Dir sagen können? Nie hättest Du mir, der Fremden, der allzu Bereitwilligen dreier Nächte geglaubt. Und dann, ich kenne Dich; ich kenne Dich so gut, wie Du kaum selber Dich kennst… Du hättest mich – ja, ich weiß es, dass Du es getan hättest, wider Deinen eigenen wachen Willen, – Du hättest mich gehasst für dieses Verbund.

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